#Wir

In den letzten drei Tagen habe ich bei ca. 39 Grad Fieber die Tage und Nächte im Bett und auf dem Sofa verbracht, nichts gegessen, kaum getwittert und so gut wie keine Mails gelesen. Schlafen war in den Tagen schwierig, da mir vom Kopf bis zu den Hüften alles weh tat.

Aber Denken ging. Und da ich sonst nichts tat und von keinerlei Input gestört wurde, ging das Denken mal anders und weniger kleinklein-orientiert.

Bevor ich mich zwangsweise hinlegte, hatte ich noch ganz grob und mittelbar mit bekommen, was beim Strategiecamp in Leipzig gelaufen ist und das wir jetzt einen .Neustart haben.

Als ich nach drei Tagen wieder aufstand, las ich unter anderem, dass  @J_Ponader mit @Bubernd und @Schmidtlepp mit @J_Ponader wieder mal eine schrecklich nette Familie aufgeführt hatten.

Da ich nur schwer aus der Ruhe zu bringen bin, habe ich das wie vieles anderes zur Kenntnis genommen und für mich bewertet.

Dieser .Neustart blieb aber in meinen Gedanken. Immer wieder kam er hervor.

Für mich alleine habe ich versucht, die Motivation für den Begriff und die Intention des Begriffs – nach innen wie nach außen – zu erarbeiten. Ohne andere Infos abzugreifen.

So ohne größere Mühe fiel mir nur das Betriebssystem Windows ein. „Ein neuer Boot tut immer gut.“. Ein lustiges Wortspiel mit für viele negativer Konnotation.

Das kann doch nicht die Intention sein, oder?

OK, wir haben ja auch schon #RESET verwendet. Aber ganz klar auf das (politische) System bezogen.

So ganz ohne wirklich zündende Idee konnte doch das Strategiecamp nicht geendet haben, dachte ich still für mich.

Dann habe ich mal nach Neustart in Verbindung mit einigen nennenswerten politischen Mitbewerbern gegoogelt. Die Ergebnisse:
cdu neustart 167.000 Treffer
spd neustart 198.000 Treffer
fdp neustart 133.000 Treffer
dielinke neustart1.350.000 Treffer
piraten neustart 118.000 Treffer

Klickt einfach mal ein paar der Treffer.

Der Begriff ist quer durch die Parteienlandschaft stark benutzt.

Dann habe ich eine Begründung eines Beteiligten für die Wahl des Begriffs gelesen.
http://siegstyle.de/wordpress/?p=27

Vieles in der Begründung ist in schlicht behauptender Form, manches wird begründet.

Ich setze voraus, dass der Autor den Begriff .Neustart in diesem Kontext mag oder gar für ihn brennt und kann daher seine Begründungen nachvollziehen. Richtig finde ich sie an vielen Stellen nicht.

Nur zwei Beispiele:
Es wird behauptet, Neustart würde allgemein als Begriff für den Anfang stehen und das wird versucht, am Beispiel Auto zu belegen (Auto neu starten).
Sorry, ein Auto starte ich oder lasse es an. Die einzige Situation, in der ich ein Auto neu starte, ist, nach dem es unerwünscht ‚ausgegangen‘ ist. Das hat entweder technische oder fahrtechnische Gründe und ist nichts wirklich positives.

„Wenn die Piratenpartei eine neue Drogen- oder Bildungspolitik fordern passt Neustart als Slogan“ ist eine weitere Behauptung. Ich sage nein, ein simpler Neustart reicht nicht. Solange keine wesentlichen Parameter des ’neu gestarteten‘ Systems geändert werden – sei es innerhalb der Piratenpartei oder in der Außenwirkung oder im politischen System – bringt ein Neustart außer einer Unterbrechung des Betriebs und – je nach Naturell – möglicher, aber durch nichts gerechtfertigter Hoffnung, genau nichts.

Dann lese ich “ Als Begriff impliziert .NEUSTART also sehr vieles, wenn nicht fast alles, wofür die Piraten stehen:“
Hier möchte ich schmunzelnd fast zustimmen. Kann es aber leider nicht.

Denn dieses begriffliche Placebo transportiert außer eben dem neuerlichen Start einer alten Geschichte nichts. Und der Satz deutet imho auf den Fehler hin, dass der Autor wie wohl auch die Befürworter von .NEUSTART die (ihre) dargelegte Sicht auf die Piraten auf die Wähler übertragen. Wohlgemerkt auf die Wähler, die wir überzeugen wollen.

Diese potentiellen Wähler (ich bin ja Optimist) haben aber aktuell weitgehend eine Sicht auf die Piraten, die keinen Wahlerfolg verspricht.

Ja, jetzt kommt die Entgegnung, deshalb machen wir ja die Kampagne .NEUSTART.

Der Wähler, den wir nicht weiter als über diesen Begriff .NEUSTART erreichen, wird sich sagen: Piraten? Neustart? Wozu?

Der Wähler, den wir über den Begriff hinaus inhaltlich erreichen, wird sich sagen; Piraten? Neustart? Die meinen aber doch Änderung. Wieso sagen die dann Neustart?
Und wie wollen die aus der Opposition heraus einen Neustart bewirken.

Jetzt aber mal weg von der Begründung und diesem ominösen Wesen Wähler.

Ich bin nicht der Meinung, dass wir einen Neustart brauchen. Diese Meinung habe ich in Gesprächen mit anderen Piraten bestätigt bekommen (Ok, Filterbubble, kann sein).

Wir haben innerlich wie medial ein Vorstandsproblem – Stop, weiterlesen: Dies ist kein konkreter Vorwurf von mir an einzelne Personen des Vorstands; das könnte ich schwerlich beurteilen. Es gibt meinen Eindruck dessen wieder, was ich höre und lese.

Wir haben ein Kommunikationsproblem, das wir für einen erfolgreichen Wahlkampf lösen müssen.

Wir haben aber auch einen BuBernd, der – imho zwischenzeitlich extern beraten – neue Grundprinzipien propagiert und diese nach meinem Empfinden durchzusetzen willens ist.

Das wäre allerdings ein Neustart, nur auch mit anderen Parametern.

Das macht mir allerdings Bauchschmerzen.

Nochmal einige Sätze zurück: Ich bin nicht der Meinung, dass wir einen Neustart brauchen.

Wir haben viele, viele fleißig und konstruktiv arbeitende Piraten und viele richtig gute Menschen in der Partei, die Programmarbeit machen, organisieren, den Müll wegräumen und die Leute zusammen halten.

Die müssen alle nicht viel ändern, sie müssen sich vielleicht besser durchsetzen.

Und die gute Arbeit dieser Leute müssen wir transportieren.

Darüber hinaus müssen wir bei den Menschen aber ein Wir-Gefühl erreichen.

Eine Identifikation mit den Piraten. Das Gefühl „die Piraten denken wie wir, die kennen unsere Probleme, die machen Politik für uns und nicht für irgendwelche Konzerne oder für sich selbst.“

Dieser schwierige Identifikationsprozess wird durch einen .NEUSTART gestört.

Auch, wenn NDS enttäuschend war und wir nicht mehr als unsere ‚Stammwähler‘ aktivieren konnten, heißt das nicht, dass das Positive, das die Menschen noch vor wenigen Monaten uns Piraten zuschrieben, vergessen und begraben ist.

Wir müssen es nur wieder ausgraben.

Und der letzte Satz beinhaltet das wesentliche Wort: WIR.

Wir müssen das machen. Dafür brauchen wir ein starkes Wir-Gefühl. Wenn wir das hinkriegen, haben wir die Chance, mit diesem Wir-Gefühl und unseren Überzeugungen und Ideen Menschen zu erreichen, zu überzeugen und ihnen dieses Wir-Gefühl auch zu geben.

Und das ist doch unabhängig von Prozenten das viel erstrebenswertere Ziel.

Ich weiß, einfach ist anders.

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