Recht auf U3-Betreuung – aber bitte in Maßen

Am 22. Mai schrieb ich an dieser Stelle „Es ist ausreichend unbefriedigend, dass der ab dem 1. August 2013 geltende Rechtsanspruch auf Betreuung unter-3-jähriger Kinder in vielen Kommunen nicht hinreichend erfüllt werden wird.“

Die ersten Auswirkungen zeigen sich, die Kommunen wappnen sich.
Dies tun sie unter anderem unter Zuhilfenahme von Richtlinien, die sie (zu diesem Zweck?) erlassen.

So geschehen am 5.7. im Jugendhilfeausschuss meiner Stadt.
In ihren Richtlinien zur Kindertagespflege verfasst die Stadt Wesel manches begrüssenswertes, aber auch die Grundregel, dass Eltern nur einen Regel-Anspruch auf 25 Wochenstunden Kindertagespflege für ihr 1- oder 2-jähriges Kind haben.
Ich vermute, derartige Richtlinien werden in vielen Kommunen praktiziert werden.
Den Eltern werden die Richtlinien als verbindlich und gesetzlich bedingt entgegen gehalten werden.
Viele Eltern werden das klaglos akzeptieren.

Das entspricht nicht der Intention des gesetzlich verankerten Rechts auf Betreuung für 1- und 2-jährige Kinder.

Im Falle meiner Stadt habe ich in einem offenen Brief an sämtliche Ratsfraktionen begründet darum gebeten, die Richtlinien abzulehen und zur neuerlichen Behandlung in den Jugendhilfeausschuss zurück zu überweisen.

Nachfolgend der Wortlaut des Schreibens:

An die
Fraktion *****
Fraktionssprecher: ******
Rathaus, Zimmer ***
Klever-Tor-Platz 1
46483 Wesel

Richtlinien der Stadt Wesel zur Betreuung von Kindern in Kindertagespflege
Offener Brief an die Fraktionen im Rat der Stadt Wesel

In der Jugendhilfeausschuss-Sitzung der Stadt Wesel am 5.3.2013 wurde der Vorschlag zur Neufassung der Richtlinien der Stadt Wesel zur Betreuung von Kindern in Kindertagespflege beschlossen.
Unter dem Oberbegriff ‚Rechtsanspruch‘ orientiert sich Wesel erkennbar an Empfehlungen des Städte- und Gemeindebunds bzw. des Städtetags und an von diesen beauftragten Rechtsgutachten. Wesel schlägt als Grundregel eine Betreuung von 25 Wochenstunden vor. Längere Wochenbetreuungszeiten müssen durch die Eltern begründet beantragt werden.
Dies wird mit der im KiBiz vorgegebenen ‚Berücksichtigung der Grundsätze der Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit‘ begründet. Dieser Passus im §21 KiBiz bezieht sich jedoch nur auf Kindertageseinrichtungen, nicht auf Kindertagespflege.

Diese Grundregel entspricht weder der Bedarfsgerechtigkeit noch der Wirtschaftlichkeit.

Vordergründig mag man es als gerecht bezeichnen, wenn in einer Mangelsituation die zu geringen Ressourcen gleichmäßig auf die Nachfragenden verteilt werden.
Gerecht im Sinne der Vorgaben im SGB VIII ist dies jedoch nicht. Und wirtschaftlich ist es für Tagespflegepersonal auch nicht.
SGB VIII hat im §5 das Wunsch- und Wahlrecht aus §33 SGB I übernommen, in dem steht: ‚Der Wahl und den Wünschen soll entsprochen werden, sofern dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist.‘ Hier wird nicht auf die Wirtschaftlichkeit für den Leistungserbringer (Jugendamt Wesel) bezogen, sondern lediglich Unverhältnismäßigkeit angeführt.
Dass Eltern ihren Bedarf formell darlegen und begründen müssen entspricht nicht ihrem gesetzlich formulierten Wunsch- und Wahlrecht, ist eine zusätzliche Hürde und ist abzulehnen.
Die Mangelsituation haben nicht die Eltern zu verantworten. Die Stadt Wesel hat in Sachen Kindertagespflege nicht genügend Anstrengungen unternommen.

Zur Wirtschaftlichkeit in der Kindertagespflege: Eine Tagesmutter mit beispielsweise 4 Kindern je 25 Wochenstunden in Pflege verdient (Annahme 4,12€/Stunde/Kind) 1648 Euro, muss dafür aber unter ungünstigen Umständen mehr als 200 Stunden arbeiten. (erstes Kind kommt um 8 Uhr, letztes Kind geht um 17 Uhr, Verwaltungs-, Planungs- und Unterhaltungszeiten) und einen Teil der Einnahmen in Ausstattung investieren.
Den resultierenden Stundenlohn von ~8 Euro kann niemand wirtschaftlich nennen. Der Tätigkeit angemessen ist sie auch nicht, setzt diese Tätigkeit doch einen hohen Grad an Verantwortung für kleine Kinder, jederzeitige Aufmerksamkeit und starke physische Belastungen ohne zeitliche oder räumliche Rückzugsmöglichkeiten voraus.

Die Richtlinien enthalten auch sinnvolle Erweiterungen.

So formuliert Wesel die Qualifizierung des Tagespflegepersonals als wichtigen Bestandteil auf dem Weg zur Professionalisierung und ändert die aktuell gültige Voraussetzung für die Zulassung zur Tagespflege – die 32-stündige Qualifizierung – zu einer Qualifizierung von 160 Stunden nach dem DJI-Curriculum.
Diese Vorgabe kommt dem Wunsch von Elternvertretungen und Fachleuten zumindest in Teilen nach und bedient letztlich die – bislang leider weichen – Vorgaben.
Wesel schließt also in Sachen Qualifizierung und Zulassungsvoraussetzungen von Kindertagespflegepersonal zum anerkannten Status Quo auf.

Die Fortbildungspflicht zum Thema Kindeswohlgefährdung und die Vereinbarungspflicht für Kindertagespflegepersonal mit dem Jugendamt sind zu begrüßen.

Im Bereich der Vergütung von Kindertagespflegepersonal liegt Wesel mit der neuen Richtlinie im Mittelfeld, hat aber einige Mechanismen des Ausgleichs für besonders aufwändige Betreuung (Betreuung in ‚ungünstigen‘ Zeiten, Betreuung von Kindern mit Behinderung). Dies ist zu ebenfalls zu begrüßen.
In den neuen Richtlinien lehnt sich die Stadt Wesel an die Neufassungen der Richtlinien in benachbarten Gemeinden an und begründet die geänderten Richtlinien mit der gewachsenen Bedeutung der Kindertagespflege, die durch KiFöG und KiBiz in das System der Tagesbetreuung von Kindern integriert wurde.

Man darf vermuten, dass der zum 1.8.2013 greifende Rechtsanspruch auf Betreuung aller 1- und 2-jährigen Kinder und die zu erwartenden Engpässe auch in diese neue Richtlinie gewirkt haben. Seit Geltung der bisherigen Richtlinien sind keine gesetzlichen Änderungen eingetreten, die neue Richtlinien unabdingbar machen würden.
Die Kindertagesbetreuung ist nicht an einen individuellen Einzelfallbedarf geknüpft. Sie ist ein Infrastrukturangebot, das allen Kindern der betreffenden Altersgruppe zur Verfügung stehen muss. Die Verbesserung der Kinderbetreuung ist eine Aufgabe von Verfassungsrang und liegt laut Bundesverfassungsgericht im öffentlichen Interesse.

Trotz der zum Teil sinnvollen Erweiterungen in den neuen Richtlinien bitte ich die Mitglieder der Fraktionen im Rat der Stadt Wesel, diese neuen Richtlinien abzulehnen und sie in den Jugendhilfeausschuss zur weiteren Beratung zurück zu überweisen.
Die grundsätzliche Begrenzung der zu gewährenden Betreuung auf 25 Wochenstunden ist sowohl für die betroffenen Kinder als auch für deren Eltern und nicht zuletzt für die Tagespflegepersonen unsozial und ungerecht.
Die Klagefestigkeit einer solchen grundsätzlichen Begrenzung steht in Frage.

Mit freundlichen Grüßen,
Manfred Schramm
Sprecher für Familien- und Bildungspolitik
Piratenpartei Deutschland
Kreisverband Wesel

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